Zeit

In den zwanziger Jahren kamen künstlerische und Archetektonische Einflüsse vor allem von der avantgardistischen Gruppe De Stijl, der Rietveld angehörte und von der Amsterdamer Schule, der zu dieser Zeit in Holland einflussreichsten Architekturströmung.

 

De Stijl

Vorher"Die neue Architektur hat die Wand durchbrochen und so die Trennung von Drinnen und Draußen beseitigt. Die Wände tragen nicht mehr, sondern sie sind auf Stützpunkte reduziert. Hierdurch entsteht ein neuer offener Grundriß . . . Das Ganze besteht aus einem einzigen Raum, der nach funktionalen Erfordernissen unterteilt werden kann . . . Die starren Innenwände werden durch bewegliche Platten oder Vorhänge ersetzt."
Dieses Zitat stammt nicht von Rietveld, sondern von Theo van Doesburg. Es stammt aus dem Manifest "Auf dem Weg zu einer gestaltenden Architektur", Anfang 1924 publiziert, zu einem Zeitpunkt da Rietveld gerade erst mit der Planung des Rietveld-Schröder-Hauses begonnen hatte.
Theo van Doesburg war Gründer und führender Kopf einer Gruppe von Malern: Piet Mondrian, Bart van der Leck, Vilmos Huszár, dem Bildhauer Georges Vantongerloo und von Architekten: J.J.P Oud, Robert van't Hoff, Jan Wils, Cornelis van Eesteren, Gerrit Rietveld, die es sich nach dem I. Weltkrieg in wechselnder Formierung zur Aufgabe gemacht hatten, den ihrer Zeit entsprechenden universellen Stil zu entwickeln. Sie nannten sich "DE STIJL". Das ist holländisch und bedeutet "DER STIL". Unter gleichem Namen erschien von 1917 bis 1931 ein Magazin, das diese Entwicklung dokumentierte und verbreitete. Van Doesburg faßte die Ursprünge, Ziele und Prinzipien von "De STIJL" 1929 in dem Satz: "Wir wollten die braune Welt durch eine weiße ersetzen." Truus Schröder-Schräder interpretierte dies 1982 rückblickend so: "Sehen Sie, all dieses altmodische Zeug war braun. Alles war braun. ... Ich denke er meinte, daß die Welt, wie sie damals war, schmuddelig, unsauber war, sie war nicht ursprünglich. Ich denke, daß all jene, die mit "DE STIJL" zu tun hatten, davon sehr angetan waren; die wesentlichen Elemente aus denen etwas zusammengesetzt ist zu finden, zu analysieren, und sie dann wieder neu zusammenzustellen. Und natürlich kann man das mit der Farbe Braun nicht tun. Nehmen Sie Braun und sie kommen nirgendwo hin."
Rietveld im Stuhl Der neue Stil sollte nicht nur die Ästhetik, sondern alle Lebensbereiche umfassen. So entstand nicht zu letzt aus dem sozialen Vorliebe für maschinelle Fertigungsmethoden, Standardisierung und Massenproduktion.
Allen voran wurde dieser neue Stil von dem Holländer Piet Mondrian , einem der ersten absolut abstrakten Maler, geprägt. Er nennt sie holländisch "De Nieuwe Beelding", französisch "Neo-Plasticisme", diese Neue Gestaltung, die nicht mehr eine äußere Wirklichkeit abbildet, sondern eine innere formt. Nicht das Individuelle, sondern das Universale soll der Künstler gestalten. Indem er allein mit geraden Linien, rechteckigen Flächen und primären Farben Gleichgewichtsbeziehungen herstellt, macht er die Harmonie anschaulich, die dem Universalen innewohnt. Wäre es nach Mondrian gegangen, so wäre "DE STIJL" ein reiner Malerzirkel geblieben. Er traute den Architekten im allgemeinen nicht zu, daß sie die hohen Ansprüche der Neuen Gestaltung in ihren Bauwerken zur Geltung bringen können.
Im besonderen führte die Frage, wer für die Farbgestaltung von Gebäuden besser geeignet wäre, der Maler oder der Architekt, immer wieder zu Spannungen und Brüchen.
Allerdings gelang Gerrit Rietveld gemeinsam mit Truus Schröder-Schräder die Erweiterung der von Mondrian formulierten Formensprache aus der zweidimensionalen Fläche, in den dreidimensionalen Raum: Ein ausgewogenes, asymmetrisches Verhältnis ungleicher Teile. Eine antikubische Architektur, die nicht Raumzellen in einem geschlossenen Würfel zusammenfügt, sondern Flächen in die drei Dimensionen des Raumes vorstoßen läßt.
Das Rietveld-Schröder-Haus wurde erstmals in der Zeitschrift "DE STIJL" veröffentlicht:
Vol. 6, No. 10-11, 1924-25, S. 160 (Aussen)
Vol. 6, No. 12, 1924-25, S. 140 (Innen)
NacherRietveld war 1919 zu "DE STIJL" gestoßen (Truus Schröder-Schräder 1925) mit dem noch nicht farbigen Vorläufer zum Rot-Blauen-Stuhl, der 1921 seine endgültige Form erhält: ohne Stützbretter und in den charakteristischen Primärfarben Rot, Blau, und Gelb und der unbunten Farbe Schwarz. Hierin zeigte Rietveld erstmals was ihm seit jeher wichtig war: Harmonisierung durch proportionale Beziehungen. Rietveld und Schröder selbst haben die Bedeutung von "DE STIJL" für ihre Arbeit stets abgeschwächt, und für die Formensprache mag das eingeschränkt auch zutreffen. In der Wahl der Farben aber folgte Rietveld Piet Mondrian, auch wenn er sie in ihrer Wirkung dem Raumeindruck unterordnete, hierin unterscheidet sich der Architekt vom Maler.

Die Amsterdamer Schule
Um die Jahrhundertwende waren in den Niederlanden die Anleihen an Gotik, Renaissance, Klassizismus, die sogenannten Neo-Stile, für einige Architekten nicht mehr zeitgemäß. Man suchte nach neuen Ausdrucksmitteln, fand zum Teil Anregungen in der Baukunst Arabiens und Indiens, verfiel aber auch immer wieder auf die eigene niederländische Tradition, den einfachen Backsteinklassizismus.

Amsterdamer BörseEinen Wendepunkt markiert der Bau der Amsterdamer Börse von H.P. Berlage, der 1903 fertiggestellt wurde. Die Börse gilt - wenn auch nicht mehr uneingeschränkt - als Beginn der modernen Architektur in den Niederlanden. Berlages Bau ist betont einfach gehalten, verzichtet weitgehend auf Ornamente und unterstreicht die Bedeutung von Linien und Flächen.
In einer Zeit wirtschaftlicher Instabilität erhält die Ökonomie ein neues Gewicht. Berlage wollte Bauten entwerfen die schön sind, ohne zusätzliche Kosten zu verursachen. Das Ornamentale lehnte er ab, solange es nicht auch funktionell und konstruktionsbedingt war.
Dies gipfelte in einer Aussage von W.M. Dudok: "Nichts kann schön sein, wenn es unnützlich ist."
Wie sein amerikanisches Vorbild Frank Lloyd Wright, suchte Berlage, entsprechend den allgemeinen Vorstellungen der Arts-and-Crafts-Bewegung die Verschmelzung der Architektur und der Bildenden Künste zu einem Gesamtkunstwerk zu verwirklichen. "In der Architektur (sind) Verzierung und Ornament absolut Nebensache, die Raumbildung und die Massenverhältnisse aber die Hauptsache ... " "Die Kunst des Baumeisters besteht darin, Räume zu schaffen, und nicht Fassaden zu entwerfen." So stritt Berlage für Nüchternheit und Einfachheit.
Der Architekt Jakobus Johannes Pieter Oud, der Mitglied der De-Stijl-Gruppe war, erkennt 1922 Berlage auch als Wegbereiter des neuen Bauens an, wirft ihm aber vor, daß seine Baukunst noch mit zu viel traditionellem Ballast behaftet sei.
In dem Jahrzehnt zwischen 1910 und 1920 kristallisieren sich die beiden sehr gegensätzlichen Strömungen heraus, die die Architektur der Niederlande für die kommenden Jahre entscheidend prägen: die De-Stijl-Gruppe und die Amsterdamer Schule. Letztere zeichnete sich durch eine expressive Backsteinarchitektur aus, deren Kennzeichen Dynamik, Reichtum an Verzierungen und Variationen sowie eine "schwungvolle, irrationelle und nur ästhetisch motivierte Massenkonzeption" (Oud, 1922/23) waren. Die Protagonisten der Amsterdamer Schule waren die Architekten Jo van der Mey, Michel de Klerk, Pieter Lodewijk Kramer, ihr Sprachrohr die Zeitschrift "Wendingen". Das "Haus der Schiffahrt", Amsterdam, ist Backstein gewordenes Zeugnis der Vorstellungen der Amsterdamer Schule, die nur bis in die 30er Jahre von wirklicher Bedeutung war.